Fünf sogenannte Radautobahnen werden gerade in Nordrhein-Westfalen geplant. Das sind qualitativ hochwertige Radwege über längere Distanzen, die Berufspendler dazu bewegen sollen, vom Auto auf das Rad umzusteigen.
Für diese Radschnellwege gibt es eigene Qualitätskriterien, etwa eine Mindestlänge von fünf Kilometern und eine Mindestbreite von vier Metern, Beleuchtung innerorts, Steigungsarmut, möglichst durchgehende Trassenführung an Verkehrsknoten durch eigene Tunnel und Brücken, ansonsten Grüne Wellen an Ampeln.
Potenzialanalyse und Bürgerbeteiligung
Freie und komfortable Fahrt für Radfahrer also: Allein für den 23 Kilometer langen „Radschnellweg Euregio“ von Aachen nach Herzogenrath mit Abzweigungen in die nahen Niederlande sind acht Bauwerke geplant: drei Brücken, vier Unterführungen und eine Stützwand. Mindestens 15 Millionen Euro würde seine Realisierung nach heutigem Stand kosten. Die Bewohner der Region sind zu Workshops über die Trassenführung eingeladen und eine Potenzialanalyse prognostiziert 12.000 Autofahrer, die vom Auto auf das Rad umsteigen würden.
Doch was hier nach einer sinnvollen Investition in den Radverkehr klingt, nach Klimaschutz, nach Mitbestimmung, verkehrt sich bei genauerer Analyse schnell ins Gegenteil. Denn tatsächlich könnte die Natur beim Bau im wahrsten Sinne des Wortes „unters Rad“ kommen: Großräumig würden neue Flächen versiegelt und alte Bäume gefällt. Am Zustand der vielen bereits bestehenden, aber äußerst maroden Radwege im umliegenden Straßennetz änderte sich jedoch gar nichts. Und bei der Anzahl der wechselwilligen Autofahrer dürfte es sich am ehesten noch um Realsatire handeln.
Landschaftsschutzgebiet würde betoniert
Die NaturFreunde Herzogenrath-Merkstein haben die in ihrer Region vorgeschlagenen Trassen geprüft: Zwei führen kilometerlang entlang der Bahntrasse Aachen–Düsseldorf, die ein Naturschutz- von einem Landschaftsschutzgebiet trennt. Das Gelände ist ein attraktiver Erholungsraum für die anwohnende Bevölkerung, mit alten Bäumen und schmalen Wegen.
Um die Qualitätskriterien des Landes zu erfüllen, müssten hier erheblichen Höhenunterschiede ausgeglichen und große Mengen Boden bewegt und versiegelt werden. Viele alte Bäume würden dabei gefällt und die nächtliche Beleuchtung in das angrenzende Naturschutzgebiet ausstrahlen. Die lokale BUND-Gruppe hat bereits juristische Schritte angekündigt, der NABU zudem den Schutz der Reptilienvorkommen angemahnt.
Nachdem die Trassenplanungen im Jahr 2014 bekannt und die Proteste größer wurden, auch durch die Öffentlichkeitsarbeit der NaturFreunde, kam eine dritte Route ins Spiel, die durch das angrenzende Wohngebiet führt. Dort existiert bereits ein Radweg, der verbreitert und optimiert werden könnte. Das würde zwar die vorhandene Straßenfläche verkleinern und auch Parkplätze wegnehmen, jedoch keine Natur zerstören.
Ihren „Bürgerwillen“ artikuliert haben bisher rund 750 Unterzeichner von zwei separaten Unterschriftenlisten gegen die Trassenführung durch das Landschaftsschutzgebiet sowie über einen ehemaligen Bahndamm. Würde dieser „Bürgerwille“ tatsächlich beachtet und wäre der Findungsprozess der Trassenführung wirklich offen, sollten diese Routen eigentlich aus dem Rennen sein. Sie sind es aber nicht.
Natur spielt nur untergeordnete Rolle
Denn die Vorschläge der beteiligten Anwohner werden gewertet. Zudem spielt die Natur nur eine untergeordnete Rolle: „Eingriffe in Natur und Landschaft“ werden mit zehn Prozent gewichtet. Auch geht es bei den entsprechenden Beteiligungsworkshops explizit nur um die Trassenführung. Ob es nicht sinnvoller wäre, das bestehende Radwegenetz grundsätzlich auszubauen, ist kein Thema dieser „Bürgerbeteiligung“. Wir NaturFreunde in Herzogenrath haben uns gegen die Naturzerstörung ausgesprochen und sind sehr skeptisch, dass hier wirklich ergebnisoffen – und natursensibel – geplant wird.
Marika Jungblut / Bruno Barth
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 2-16.